Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit dürfen kein Widerspruch sein

Warum das EU-Paket „Fit for 55“ keine hinreichende Perspektive für eine auch wirtschaftlich erfolgreiche klimapolitische Transformation bietet und in welchen Bereichen nachgebessert werden muss.

Im Vergleich zu den USA oder dem größten CO2-Emittenten China hat sich die EU sehr ambitionierte Klimaschutzziele verordnet und diese auch bereits rechtlich verankert. Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden, zwanzig Jahre später soll Klimaneutralität erreicht werden. Zum Vergleich: Im Frühjahr hatten die USA immerhin angekündigt, ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2005 zu verringern. Ein Ziel für die Klimaneutralität fehlt freilich und ob diese Ankündigung über die Präsidentschaft Biden hinaus Bestand hat, darf angesichts wiederholter Kurswechsel der US-Regierung in Klimafragen bezweifelt werden. So wurde das von Bill Clinton verhandelte Kyoto-Protokoll von Nachfolger George W. Bush nicht ratifiziert und Donald Trump korrigierte die Zusagen von Barack Obama im Rahmen des Paris-Abkommens. China seinerseits plant laut eigenen Angaben bis 2030 seinen CO2-Emissionszuwachs zu stabilisieren, bis 2060 soll das Land CO2-neutral sein. Nicht übersehen werden darf aber, dass sich derzeit im Reich der Mitte laut Medienberichten mehr als 350 Kohlekraftwerke im Bau befinden. Auch umfasst Chinas Emissionshandel lediglich den Stromsektor, nicht jedoch seine Schwerindustrie. 

Belastungen im Widerspruch zu Investitionsbedarf

Die Europäische Kommission hat im Juli mit „Fit for 55“ ein Paket vorgelegt, wie das EU-Ziel erreicht werden soll. Konkret betroffen sind weite Teile der EU-Gesetzgebung in den Bereichen Klima, Energie und Mobilität. So soll etwa das EU-2030-Erneuerbaren-Ziel auf 40 Prozent und jenes für Energieeffizienz auf 36 Prozent erhöht werden. Für den Transportbereich ist eine Reduktion der Emissionen von Fahrzeugen um minus 55 Prozent bis 2030 geplant. Auch soll ein eigenes Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäudebereich geschaffen werden. Ein besonders kritischer Vorschlag der Kommission betrifft jedoch die schrittweise, aber dennoch drastische Reduktion von Freizuteilung der Zertifikate im Emissionshandelssystem (ETS). Aus Sicht der Industrie ist das der falsche Weg. Ein neuer CO2-Grenzsteuerausgleichsmechanismus (CBAM) soll diese Schwächung des Abwanderungs- und Verlagerungsschutzes (Carbon Leakage-Schutz) für betroffene Sektoren zwar auffangen. Dieser zielt darauf ab, EU-Importe wie Stahl, Aluminium, Zement oder gewisse chemische Produkte aus Regionen mit geringerem Umweltschutz zu verteuern. Ursprünglich hatte die Kommission geplant vorzuschlagen, bei Einführung eines CBAM die Freizuteilung noch weit schneller zu reduzieren. Dies konnten der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope und die Industriellenvereinigung durch Überzeugungsarbeit vorläufig abwenden.  

Industrie als Ermöglicher der Klimatransformation

Die Industrie unterstützt grundsätzlich das Ziel, langfristig klimaneutral zu werden. Allerdings müssen die damit verbundenen Maßnahmen europäischen Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen ermöglichen. Solange dies nicht sichergestellt ist, braucht es einen ausreichenden Abwanderungsschutz. Das vorgelegte Paket genügt nicht im Ansatz, um Industrieunternehmen, die sich in einem globalen Wettbewerb befinden, eine hinreichende Perspektive für eine erfolgreiche Transformation am Standort Europa zu eröffnen. Dabei sind die Industriebtriebe mit ihrer Innovationskraft die Ermöglicher der Klimatransformation. Statt sie einseitig zu belasten, braucht es Unterstützung für die notwendigen massiven Investitionen, und zwar zusätzlich zu den zum Teil vorgesehenen Finanzierungsunterstützungen. Sonst wird umweltfreundliche Produktion in Europa bestraft. Auch der grundsätzlich sinnvolle Grenzsteuerausgleichsmechanismus wird dies nicht wettmachen können. 

Wie geht es weiter? Die politischen Verhandlungen im EU-Rat und Europäischen Parlament werden rund zwei Jahre dauern. Gemeinsam mit BusinessEurope wird sich die IV für die berechtigten Anliegen der heimischen Industrie einsetzen. Denn nirgendwo auf der Welt wird eine Tonne Zement mit weniger CO2-Emissionen produziert als in Europa und auch die heimische Eisen- und Stahlindustrie ist Benchmark bei Nachhaltigkeit. Somit ist der Erhalt industrieller Produktion in der EU nicht nur für die Sicherung von Arbeitsplätzen, sondern auch klimapolitisch in aller Interesse.