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Marokko: Zwischen Tausendundeiner Nacht und Nearshoring-Partner

Marokko präsentierte sich bei der Studienreise der IV-Burgenland als interessanter Markt vor der Haustürmit wettbewerbsfähigen Produktionskosten, moderner Infrastruktur und gut ausgebildeten Arbeitskräften.Die prachtvollen Königsstädte, die Geschichte der Berber, die einzigartige Architektur und die stillen Gärtenverleihen dem Land aber auch eine märchenhafte Atmosphäre. Ein Bericht von Ingrid Puschautz-Meidl.

Die österreichische Botschafterin Anna Jankovic sprach beim Besuch der 24-köpfigen burgenländischen IV-Delegation in der Botschafterresidenz in Rabat von einem „Land im Aufbruch mit westlicher Orientierung“ – und tatsächlich befindet sich die marokkanische Wirtschaft in einem Transformationsprozess von einer Agrar- hin zu einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Rund 3,6 Prozent Wirtschaftswachstum werden für 2025 erwartet, getrieben durch Infrastruktur und Export. Die Inflation liegt bei moderaten 2,5 Prozent, die Währung und die politische Situation sind stabil. Bestehende Freihandelsabkommen – unter anderem mit den USA und der EU – machen das Land für ausländische Direktinvestitionen attraktiv. Besonders gefragt: Investoren für die Automobilindustrie.

Königliche Vision und die Fußball-WM 2030

Die Vision des Königs ist ein umfassendes Programm, das die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung des Landes vorantreiben soll. Sie beinhaltet eine Reihe von Zielen, wie etwa die Reduzierung der Armut, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Verbesserung der Bildung und des Gesundheitswesens sowie die Förderung des Tourismus und der Investitionen.

Ein großer Treiber vieler Großprojekte derzeit ist die Fußballweltmeisterschaft 2030, die Marokko gemeinsam mit Spanien und Portugal ausrichten wird. Hierfür soll das Eisenbahnnetz über 1.500 km ausgebaut, die Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Casablanca und Tanger um 430 km über Marrakesch nach Agadir verlängert werden. Der Flughafen Mohammed V. in Casablanca bekommt einen neuen Terminal, die Flugzeugflotte wird auf das Vierfache aufgestockt und rund 1.000 Kilometer neuer Autobahnstrecken entstehen.
Bei der Fahrt durchs Land konnten wir bereits drei neue Stadien in Bau sehen.

Jeder ist in Marokko willkommen! 

Die freundliche Willkommenskultur spürten wir bei all unseren Begegnungen. Auch Ghita Lahlou, Vizepräsidentin der CGEM, des Verbandes marokkanischer Unternehmen, warb freundlich, aber bestimmt für den Standort.

Aurch die Vision des Königs habe das Land eine starke Industrialisierung erfahren, so Lahlou. Mit der geografischen Nähe zu Europa bietet Marokko mit seinem Hafen Tanger und der guten Infrastruktur die idealen Voraussetzungen als Nearshoring-Markt. Mit dem größten Mittelmeerhafen (Tanger Med) hat sich die Stadt Tanger zur strategischen Industrie- und Logistikdrehscheibe entwickelt.

Marokko ist ein sehr junges Land, mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren. Die junge Bevölkerung zieht es in die Städte; auch, um den ungleichen Ausbildungsverhältnissen zu entkommen. Es herrscht ein starkes Stadt-Land-Gefälle; bis zu 70 Prozent der insgesamt 38 Millionen Marokkaner leben im städtischen Bereich. Hier wird auf Smart Cities, erneuerbare Energie, Entsalzungsanlagen und grünen Wasserstoff gesetzt.

Marokko hat kein Öl und kein Gas – und daher gute Möglichkeiten, in anderen Gebieten, wie etwa der Industrie, stark zu werden. Als Schwerpunkte für die Zukunft der marokkanischen Industrie nannte Ghita Lahlou Nachhaltigkeit, europäische Partner und die Ausbildung von Ingenieuren.

Investitionen und Know-how

„In Marokko kann jeder investieren! Wir helfen Ihnen dabei, weil wir an unser Land glauben“, so Ghita Lahlou. Begehrt sind Investitionen und Know-how. Seit über zwölf Jahren ist etwa das Vorarlberger Unternehmen Hirschmann Automotive in Kenitra in Marokko tätig. Am zweiten Standort in Oujda werden ru nd 700 Arbeitsplätze geschaffen. Und warum gerade Marokko?

Issam Saied, Managing Director vor Ort, erklärt: Ein nationales Investmentprogramm rollt ausländischen Investoren quasi den roten Teppich aus. Für die ersten fünf Jahre werden dem Unternehmen gar keine Steuern
verrechnet, danach reduzierte Steuersätze. Die Körperschaftssteuer beträgt progressiv maximal 35 Prozent und Kenitra ist zollfreie Zone. In Marokko gibt es zehn solcher Zollfreiparks. Förderungen von bis zu 30 Prozent des zugesagten Investments und Sonderregelungen runden die Sache ab.

Foto: Ingrid Puschautz-Meidl


44-Stunden-Woche

In Marokko wird 44 Stunden pro Woche gearbeitet. Das sind 2.288 Stunden pro Jahr inklusive 18 Urlaubstage. Der Stundenlohn beträgt 1,60 Euro pro Stunde (circa 500 Euro pro Monat). Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften ist sehr gut – dies ist auch einer relativ hohen Arbeitslosenquote von rund 13 Prozent geschuldet. Produziert wird für den Export nach Europa.

Auch die Mondi Group ist in Marokko mit einem Standort vertreten. Managing Director Hicham Jalal betont ebenfalls die Vorzüge des Landes: Neben attraktiven Geschäftsmöglichkeiten, einem freundlichen Investorenumfeld, einem klaren Rechtsrahmen und einer leistungsfähigen Verwaltung sprechen für ihn noch weitere Faktoren für Investitionen im Land.

So mache ein robuster Bankensektor den Zugang zu Finanzierung relativ einfach und gute und qualifizierte Arbeitskräfte – einschließlich jener der mittleren und oberen Managementebene – erleichterten die Fachkräftesuche.

Die ausgezeichnete Logistik-Infrastruktur zwischen Marokko und dem Rest der Welt zeichnet er in einem anschaulichen Bild: „Marokko ist der Baum, der seine Wurzeln in Afrika und seine Zweige in Europa hat.“

Die Qualifikationen holen sich künftige Mitarbeiter der Unternehmen im Amt für Berufsausbildung und Arbeitsförderung (OFPPT). Um rund 50 Millionen Dollar wurde auf einer braunen Wiese ein Ausbildungszentrum errichtet, das alle Stückerl spielt. Kurse, die an den Bedarf der Unternehmen angepasst sind, sollen die Beschäftigungsfähigkeit der jungen Menschen forcieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie stärken. Das Ausbildungsangebot umfasst mehrere Stufen und Modi (Hybrid-, Präsenz- und Wechselausbildung) sowie die Berufsmaturitäts- und Collegeausbildung und ein breites Spektrum an qualifizierenden Weiterbildungen. Wir durften mit staunenden Augen durch die Hallen streifen.

Im Ansiedelungsprozess unterstützt werden potenzielle Investoren von der staatlichen Investitions- und Exportagentur AMDIE. Über diese Agentur läuft die gesamte Wirtschaftsförderung ab. Die Betreuung geht von der technischen Entwicklung über Verwaltungsverfahren und Genehmigungen sowie Grundstücksidentifizierung bis zum erfolgreichen Abschluss der Investition. Einer  Schwerpunkte der Agentur liegt in der Automobilindustrie.

Gutes Ökosystem Automobilindustrie

Mit über 500.000 exportierten Fahrzeugen jährlich zählt die Automobilindustrie zu den Top-Industrie-Exportsektoren des Landes. Renault oder Stellantis produzieren bereits in Tanger, Casablanca und Kenitra. Das Zuliefernetzwerk umfasst über 250 Unternehmen. Ambitionierte Wachstumsziele und starke Lieferketten stärken
das Ziel der Produktion von einer Million Fahrzeuge pro Jahr. Bis 2030 will das Land zudem zu einem globalen Player in der Produktion von Elektrobatterien aufsteigen. Marokko ist mit einem Exportanteil von 33 Prozent der größte Automobilexporteur Afrikas; das erste afrikanische Auto wird derzeit in Tanger gebaut, 42 Prozent der Teile werden im Land selbst produziert! Es ergeben sich daher beste Chancen für österreichische Zulieferer in den Sektoren Leichtbautechnologien, E-Komponenten und Engineering.

Phosphat – Marokkos strategischer Rohstoff

Bis zu 75 Prozent der globalen Reserven an Phosphat liegen in Marokko. Das macht das Land zum weltweit führenden Exporteur von Phosphatgestein in der globalen Düngemittelindustrie. Mit einer Exportquote von 18 Prozent ist Phosphat der drittwichtigste Devisenbringer.

Energiehunger wächst

Das industrielle Wachstum benötigt jedoch Energie. Diese wird zunehmend aus erneuerbaren Energiequellen geliefert: Solar- und Windenergie wachsen rasant, aber auch das Thema grüner Wasserstoff ist schon weit fortgeschritten.

Moscheen, Souks und stille Gärten

Marrakesch, die Rote Stadt, ist eine der vier Königsstädte und liegt in einer Ebene nördlich des Atlas-Gebirges. Den Beginn und das Ende unserer Reise durften wir in diesem Zentrum aus Moscheen, Palästen und Gärten verbringen. Die Medina ist dicht bebaut; zwischen ihren labyrinthischen Gassen finden sich unzählige Souks, in denen traditionelle Kleidung, Keramik, Teppiche oder Schmuck angeboten werden. Sollte man nicht von den rasenden Mopedfahrern über den Haufen gefahren werden, kann man das geschäftige und abenteuerliche Treiben der Händler und Gaukler in vollen Zügen genießen. In Marrakesch ist es ein Muss, in einem Riad zu übernachten – sie liegen zentral, sind klein, familiengeführt und man fühlt sich wie in Tausendundeiner Nacht. Unser Gastgeber Badr ließ in seinem Riad keinen unserer Träume unerfüllt.

Unsere Reise führte uns auch in den Anima-Garten im Ourika-Tal, gestaltet vom österreichischen Universalkünstler André Heller. Ein Besuch dieses mit Leidenschaft, Liebe und Vision geschaffenen floristischen Kunstwerks ist beeindruckend und einfach nur zutiefst berührend. In diesem magischen Garten treffen Natur und Kunst aufeinander; ein Ort mit Hunderten botanischen Einflüssen aus aller Welt, vermischt mit Kunstwerken von Picasso, Haring, Rodin und anderen.

Mit dem Bus ging es dann noch weiter ins Ourika-Tal – ein vom Oued Ourika durchflossenes Bergtal auf der Nordseite des Hohen Atlas. Ein Picknick beim kühlen Fluss hatte nicht nur für uns seinen besonderen Reiz.

Casablanca, das „Weiße Haus“, ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes und mit rund vier Millionen Einwohnern die größte Stadt Marokkos. Mit bloßen Füßen durchschritten wir die riesige Hassan-II.-Moschee, die teilweise über dem Wasser errichtet und 1993 um rund 600 Millionen Dollar fertiggestellt wurde. Die größte Moschee der Welt hat das zweithöchste Minarett mit einer Höhe von 210 Metern. Unter ihr befindet sich ein riesiger Hamam zur rituellen Reinigung.

Ein Land mit vielen Gesichtern

Das Fazit dieser Studienreise: Marokko, das Land, das nur durch die Straße von Gibraltar von Europa getrennt ist, hat viele Gesichter: Es ist das Land der Berber mit vielen Elementen aus dem französischen und portugiesischen Protektorat; das islamisch geprägte Land, wo sogar auf den Minaretten drei übereinander befindliche Kugeln die friedliche Koexistenz der drei Hauptreligionen symbolisieren; das Land der Souks, Gaukler, Handwerker und Riads.

Es ist aber auch das Land der aufstrebenden Industrie, der Transformation zur erneuerbaren Energie – und das Land, das das erste afrikanische Auto baut und Investoren sucht und findet. Es lohnt sich, wiederzukommen!

Foto: Markus Bohrer