Wer A sagt, muss auch B sagen: Dieser Zusammenhang ist manchen Entscheidungsträgern in Österreich nicht ausreichend bewusst. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Energiewende und ihre infrastrukturellen Voraussetzungen: Bis 2030 soll bekanntlich Strom in Österreich zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie erzeugt werden. Dafür sind zusätzliche 27 Terawattstunden aus erneuerbaren Quellen notwendig – rund 50 Prozent mehr als heute und über zwei Drittel davon aus volatilen, dargebotsabhängigen (das heißt die Stromproduktion hängt vom Wetter ab) Erneuerbaren. „Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, braucht es umgerechnet 425 zusätzliche Windkraftwerke der größten Onshore-Turbinenklasse, Photovoltaik auf zusätzlichen 110 km2 Fläche und 61 neue Wasserkraftwerke der Größe des Murkraftwerkes – und das in weniger als neun Jahren. Bis jetzt ist nichts davon genehmigt“, rechnet IV-Präsident Georg Knill vor. Wie weit der Weg bis zur 2040 angestrebten Klimaneutralität ist, verdeutlichen IV-Berechnungen: Um den gesamten Energieverbrauch bis dahin aus erneuerbaren Quellen zu decken, bräuchte es mindestens 60 zusätzliche Wasserkraftwerke in der Größenordnung des Donaukraftwerks Freudenau oder 120 bis 200 neue große Pumpspeicherkraftwerke.
Angesichts des derzeitigen Tempos bei Genehmigungsverfahren wird das allerdings ein Ding der Unmöglichkeit sein. Knill: „Die Energiewende kann nur gelingen, wenn das Tempo bei Genehmigungsverfahren ebenso ehrgeizig ist, wie das 100-Prozent-Ziel des Erneuerbaren Ausbau-Gesetzes.“ Wie industrierelevant mehr Konsequenz in infrastrukturpolitischen Fragen ist, zeigt das Beispiel der voestalpine: Bis 2030 will das Unternehmen seine Emissionen in einem ersten Schritt gegenüber dem Status quo vor der Corona-Krise um 30 Prozent senken. Das entspricht rund fünf Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen Österreichs. Für den Umstieg von klassischen Kohlehochöfen auf elektrifizierte Produktion braucht es aber ein entsprechend leistungsfähiges Stromnetz für die Standorte Linz und Donawitz. Fehlt es, steht das gesamte Projekt auf dem Prüfstand. Durchschnittliche Dauer von UVP-Verfahren verdoppelt Eine ähnliche Problematik existiert mit Blick auf die angestrebte Mobilitätswende. Sie ist nur auf Basis einer modernen Verkehrsinfrastruktur möglich.
„Neben notwendigen Verkehrsrouten für das Exportland Österreich geht es auch um den Ausbau von E-Ladestationen oder um den Umstieg in Richtung nachhaltiger Transporte per Bahn.“
Die Entwicklung der Dauer von Genehmigungsverfahren spricht eine klare Sprache: Zwischen 2014 und 2018 hat sich die durchschnittliche UVP-Verfahrensdauer verdoppelt, während die Zahl der Anträge um die Hälfte zurückging.
Aber nicht nur mit Blick auf Umweltfragen sind ausufernde Genehmigungsverfahren zur schweren Hypothek für die Zukunft des Standortes geworden. „Jahre- bzw. sogar jahrzehntelang dauernde Verfahren stellen mittlerweile eine substanzielle Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes dar“, bringt IV-Präsident Georg Knill das Problem auf den Punkt. In Österreich wird es zunehmend komplexer, unsicherer, langwieriger und kostenintensiver, wichtige Infrastruktur- und Standortprojekte zu realisieren. Darunter leiden übrigens nicht nur die Unternehmen – auch die öffentliche Hand steht sich mit überbordenden Verfahren selbst im Weg. Beispiele dafür sind etwa das Genehmigungsverfahren zur dritten Piste am Flughafen Wien Schwechat mit zwölf Jahren Verfahrensdauer, das Speicherkraftwerk Kühtai mit rund zehn Jahren, oder die erst letzten Herbst höchstgerichtlich entschiedene 380-kV-Leitung in Salzburg. Nach rund 15 Jahren Gesamtdauer konnte im Sommer die Netzabstützung Villach Süd offiziell in Betrieb genommen werden.
„Es geht darum, Verfahren effektiv zu straffen und effizienter zu gestalten – und nicht darum, das Umweltschutzniveau abzusenken.“
Die Verzögerungen sind auch für die Konsumenten teuer: Allein die fehlenden Leitungskapazitäten durch die jahrelang verzögerte Salzburgleitung kosten Österreichs Stromkunden rund zehn Millionen Euro im Monat. Doch dabei geht es bei weitem nicht nur um den notwendigen Ausbau der Energie- oder Verkehrsinfrastruktur. Auch wichtige Industrie-Investitionen können wegen endlos langen Verfahren nicht umgesetzt werden. Seit mehr als 18 Jahren wartet beispielsweise ein heimischer Zementhersteller auf die Genehmigung, seine Kapazitäten zu erweitern. Bei einem weiteren Industriebetrieb verzögert sich der Bau des nächsten Deponieabschnitts, weil es keinen passenden Amtssachverständigen gibt. „Diese Beispiele ließen sich noch lange fortführen, sie kosten den Unternehmen nicht nur viel Geld und verhindern somit Investitionen, oft auch in den Klimaschutz. Sie gefährden auch Arbeitsplätze“, so Koren.
In die völlig verkehrte Richtung geht es außerdem, wenn Projekte, die über viele Jahre ausführlich und nach gesetzlich festgelegten Verfahren geprüft und letztendlich bereits genehmigt sind, durch politisch motivierte, intransparente Evaluierungsprozesse abgedreht werden. So ist die Ankündigungvon Bundesministerin Leonore Gewessler, wichtige und notwendige Infrastrukturvorhaben einzustellen, ein massiver Rückschlag für Standort, Menschen und Arbeitsplätze und grenzt hart an politische Willkür. Beispiel Lobautunnel: Das gesamte Genehmigungsverfahren hat bislang über 150 Monate statt wie ursprünglich angekündigt 18 Monate gedauert und wurde im Juni von Höchstgerichten bestätigt. Nun wird es nach nicht einmal sechs Monaten Evaluierung gestoppt. „Auch in Zukunft wird es individuelle Mobilität wie auch Warenverkehr geben – natürlich klimaschonend und effizient, sichergestellt durch neue Technologien und Innovationen. Dazu braucht es aber auch ausgebaute Verkehrswege – auch E-Autos fahren auf Straßen“, betont Knill. Leidtragende des Baustopps sind vor allem die Menschen, die weiter viel Zeit im Stau verlieren, oder Anrainer, weil der Verkehr sich nun auf kleinere Straßen verlagert.
Klar ist: Das Thema sind nicht fehlende Verfahrensfristen. Diese sind gesetzlich etwa im UVP-Gesetz verankert. IV-Präsident Georg Knill: „Das Problem ist, dass diese gesetzlichen Fristen nahezu regelmäßig um ein Vielfaches überschritten werden – und das ohne jegliche Konsequenz!“ Die IV fordert, dass die zahlreichen, bereits am Tisch liegenden Vorschläge für kürzere Verfahren zügig umgesetzt werden und Gesetze, die eine Beschleunigung für Projekte im besonderen öffentlichen Interesse vorsehen, gezielt genutzt werden – Stichwort Standort-Entwicklungsgesetz. Ansätze zur Verfahrensbeschleunigung finden sich zudem punktuell im Regierungsprogramm. Handlungsbedarf für mehr Rechts- und Planungssicherheit für Projektwerber gibt es insbesondere im Allgemeinen Verwaltungsverfahren, bei Umweltverträglichkeitsprüfungen und bei den Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Koren: „Vor allem muss das mutwillige Verschleppen von Verfahren bzw. Rechtsmissbrauch verhindert werden.“ Hintergrund: Im Gegensatz zum Zivilprozess können neue Tatsachen- und Beweisanträge im Verwaltungsverfahren in fast jeder Lage des Verfahrens vorgebracht werden. „Dies führt dazu, dass jeder zu jeder Zeit alles einwenden kann“, berichtet Koren.
Auch im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit leistet sich Österreich – im Unterschied zum Zivilprozess – den Luxus, das gesamte Administrativverfahren zu wiederholen, statt eine sogenannte „Prozessstoffpyramide“ zu bilden, wo tatsächlich nur mehr die im Rechtsmittel aufgegriffenen Teile gerichtlich überprüft werden. Die angekündigte UVP-Novelle muss dringend für Verfahrensbeschleunigungen genutzt werden, fordert der IV-Vize-Generalsekretär. Die Industrie hat daher frühzeitig Initiativen gesetzt. Die IV konsolidiert derzeit ihre Forderungen mit weiteren Playern aus der Wirtschaft bzw. Energiewirtschaft zu einem umfassenden Forderungspapier. IV-Präsident Knill betont: „Es geht darum, Verfahren effektiv zu straffen und effizienter zu gestalten – und nicht darum, das Umweltschutzniveau abzusenken. Ohne den Ausbau von Kraftwerken, Netzen und Speichern gibt es jedenfalls keine Energiewende, keine Versorgungssicherheit, keine Dekarbonisierung der Industrie und auch weniger Wohlstand und Arbeitsplätze für die Zukunft